20.05.2009.
Die Jahreszeiten
Joseph Haydn komponiert 1801 im Alter von über 60 Jahren das große Oratorium „Die Jahreszeiten“ – nicht ohne Mühe, wie er schreibt.
Der Londoner Konzertveranstalter Johann Peter Salomon (Haydns Auftraggeber der so genannten „Londoner Sinfonien“) und der Präfekt der Hofbibliothek in Wien Baron van Swieten ermutigten den von Ihnen sehr geschätzten Joseph Haydn, sich im Alter von über 60 Jahren ein drittes Mal mit der Gattung Oratorium zu befassen. Haydn verschloss sich dieser Anregung nicht und Ergebnis der Auseinanderzusetzung mit der Gattung war zunächst das Oratorium „Die Schöpfung“ (Erstaufführung 1798). Der überwältigende Erfolg seines Oratoriums „Die Schöpfung“ bestärkte Joseph Haydn in dem Vorsatz, ein zweites Werk in dieser neuen Art zu komponieren. Er entschied sich für „Die Jahreszeiten“, an denen er fast drei Jahre und, wie aus seinen Briefen hervorgeht, nicht ohne Mühe arbeitete (Erstaufführung 1801).
Beide Werke sorgten dafür, dass Haydns Wertschätzung sich auch auf dem Gebiet des Oratoriums in Europa verbreitete. Das gelang ihm übrigens als einzigem der drei so genannten Wiener Klassiker, denn weder zuvor für Mozart, noch danach für Beethoven (dessen symphonisches Schaffen etwa in der Entstehungszeit der Schöpfung einsetzt) war das Oratorium eine zentrale, und damit kompositorisch reizvolle Gattung.
Wie schon beim Oratorium „Die Schöpfung“, schrieb Baron van Swieten auch das Libretto (Textbuch) für „Die Jahreszeiten“. In der Hauptsache liegt dem Textbuch eine englische Quelle zugrunde und zwar „The Seasons“ (1726-1730) von James Thomson sen. (1700-1748), eine vierteilige Dichtung, die auch in Deutschland in der Übersetzung von Barthold Hinrich Brockes bekannt war. Joseph Haydn hat sich ursprünglich gegen van Swietens Text gewehrt. Er fand ihn nicht sehr gut und ärgerte sich außerdem darüber, dass er alle möglichen Dinge, z. B. das Froschgequake, tonmalerisch darstellen sollte, denn während Tonmalerei vor Haydns Zeit sehr beliebt gewesen war, war sie inzwischen doch etwas verrufen und damit ziemlich „out“. Auch etwas wie den „Fleiß“ (s.u.) in Musik zu setzen, kam Haydn höchst merkwürdig vor. Am Ende aber ließ sich Haydn doch auf die Vertonung des Librettos ein. Van Swieten begnügte sich aber nicht nur mit dem Schreiben des Textbuches, nein, er versah das Libretto auch mit Anregungen zur Komposition und kümmerte sich darüber hinaus nach der Fertigstellung des Oratoriums um die ersten Aufführungen.
Die erste Aufführung am 24. Mai 1801 im Palais Schwarzenberg war eine Veranstaltung im privaten Rahmen durch die von van Swieten gegründete „Gesellschaft der associierten Cavaliers“ (Gruppe musikalisch interessierter Adeliger, die mit ihren Oratorienaufführungen zu einem wichtigen Faktor im zeitgenössischen Wiener Musikleben wurde). Kurz danach folgte eine öffentliche Aufführung im Redoutensaal der Wiener Hofburg.
Im Gegensatz zur Gattungstradition fehlt im Oratorium „Die Jahreszeiten“ die verbindende Handlung, denn entsprechend der vier Jahreszeiten hat van Swieten das Werk in die vier Teile „Der Frühling“, „Der Sommer“, „Der Herbst“ und „Der Winter“ gegliedert. Zur Konzeption des Librettos kann man sagen, dass van Swieten seinen Text im Anschluss an den von Thomson unmittelbar neu gedichtet hat. Dabei lässt van Swietens naive Schilderung des Landlebens im Wechsel der Jahreszeiten nichts mehr spüren von dem Wesen der Seasons als eines hochgelehrten Poems. Dafür bezieht van Swieten religiöse Vorstellungen, die bei Thomson nur eher beiläufig vorkommen, in seinen Text mit ein. Zeigen lässt sich das z.B. mit dem jeweiligen Schluss des Winters. Während Thomson nur das „neue Dasein“ in den Blick nimmt, die große, allumfassende, ewige Idee („the great eternal scheme“) und sein Poem damit schließt, dass die Winterstürme schnell vorübergehen und ein ewiger Frühling alles umgibt, vollzieht van Swieten an dieser Stelle die ausdrückliche Wendung ins Christliche, die bei Thomson nur impliziert ist. „Die Himmelspforten öffnen sich, der heil’ge Berg erscheint. Ihn krönt des Herren Zelt. Wo Ruh und Friede thront.“ Das Oratorium schließt dann mit dem Lobgesang „Uns leite deine Hand, o Gott, verleih uns Stärk’ und Mut. Dann siegen wir. Dann geh’n wir ein in deines Reiches Herrlichkeit. Amen.“
Zur Musik
Haydn komponiert zu Beginn des Frühlings-, des Herbst- und des Winter-Teils Orchestereinleitungen.
Die handlungstragenden bzw. erzählenden Partien im Bereich der Sologesangsformen sind den Rezitativen (lat.: recitare: vorlesen, sprechen; hier: Sprechgesang) zugeordnet. Traditionell unterscheidet man zwischen Secco-Rezitativ (ital. recitativo secco: „trockenes“ R.) mit einfacher akkordischer Begleitung (Cembalo / Hammerklavier) und Accompagnato-Rezitativ (ital.: „begleitetes“ R.) mit instrumentaler Begleitung des Orchesters. Das „Secco-Rezitativ“ bereitet in diesem Werk meist unmittelbar eines der vielen „Accompagnato-Rezitative“ vor, die ihrerseits den raschen Wechsel in der Schilderung von Ereignissen der belebten und unbelebten Natur ausdrücken; dabei spielt das „begleitende“ Orchester eine wesentliche Rolle, weil es die Affekte und Stimmungen der Sänger durch Ausdeutungen oder Ausmalungen musikalisch unterstützt. Während die Sänger im Secco-Rezitativ den Text rhythmisch sehr frei gestalten, sind sie im Accompagnato-Rezitativ wegen der Mitwirkung des Orchesters rhythmisch stärker gebunden.
Die Arien dienen hauptsächlich der rhythmisch pointierten musikalischen Darstellung von bestimmten Bewegungsvorgängen, so etwa: Pflügen (Nr. 4 „Nun eilet froh der Ackersmann“), Viehtreiben (Nr. 11 „Der muntre Hirt versammelt nun“), Jagen (Nr. 27 „Seht auf die breiten Wiesen hin“), Wandern / Eilen (Nr. 36 „Hier steht der Wandrer nun“), vereinzelt dem koloraturreichen Ausdruck freudigen Naturerlebens (Nr. 17 „Welche Labung für die Sinne“) oder ist Träger der moralischen und religiösen Ermahnung (Nr. 42, „Erblicke hier, betörter Mensch“.). Neben der Arie setzt Haydn die „hohe“ Form der Cavatine (Nr. 15 „Dem Druck erlieget die Natur“, Nr. 34 „Licht und Leben sind geschwächet“), aber auch den „niederen“ Ton des deutschen Singspiels (Nr. 38 „Knurre, schnurre, knurre“, Nr. 40 „Ein Mädchen, das auf Ehre hielt“, Duett Nr. 25 „Ihr Schönen aus der Stadt“) ein.
Die Chorsätze, die fast immer in enger konzertierender Verbindung mit einzelnen oder allen drei Solostimmen stehen, zeichnen sich aus durch eine sehr unterschiedlich gestaltete Satztechnik als auch durch große Vielfalt im Ausdruck: Neben hymnischer, homorhythmischer und fugierter Satzweise (Nr. 6 „Sei nun gnädig, milder Himmel“, Nr. 9 „Ewiger, mächtiger, gütiger Gott“, Nr. 12 „Heil, o Sonne“, Nr. 44 „Dann bricht der große Morgen an“), setzt Haydn tonmalerisch erzählende Akzente (Nr. 19 „Ach, das Ungewitter naht“, Nr. 29 „Hört das laute Getön“), aber auch tänzerisch-liedhafte (Nr. 2 „Komm, holder Lenz“, Nr. 31 „Juhe, juhe! Der Wein ist da“).
Die Solisten verkörpern den Pächter Simon (Bass), seine Tochter Hanne (Sopran) und den jungen Bauern Lukas (Tenor). Der Chor schlüpft in die Rolle des „Landvolks“ oder der „Jäger“.
Der Frühling
Der erste Teil des Oratoriums thematisiert den Frühling, die Zeit der Saat und der Hoffnung. Bevor aber Haydn in heiteren Gesängen die freudige Stimmung zeigt, die der Frühling in den Menschen auslöst, schildert er mit einem stürmisch bewegten, in düsterem Moll gehaltenen Orchestervorspiel den Übergang vom Winter zum Frühling. Zunächst „malt“ Haydn in langsamem Tempo (Largo) und in langen Notenwerten Öde und Eisesstarre des Winters. Aber schon bald brechen in schnellem Tempo (Vivace) zurückgehaltene Kräfte los und man hat das Gefühl, dass Winter und Frühling miteinander um die Herrschaft ringen. Plötzlich bricht die Musik ab und es folgt ein Rezitativ der drei Solisten, die die Flucht des Winters und das Nahen des Frühlings verkünden. Mit dem ersten Chor (Nr. 2 „Komm, holder Lenz!“), einem schlichten Lied, das die Frühlingserwartung und Naturfreude ausdrückt, setzt der „Frühlingston“ ein. Im Mittelteil stehen sich Frauen- und Männerstimmen im Wechselgesang gegenüber. Während die Frauen vom „holden Lenz und lindem Hauch“ singen, gießen die Männer Wein ins Wasser mit ihrer Mahnung: „Frohlocket ja nicht allzu früh“. Moll und Dissonanzen, die den Gesang der Männer bestimmen, bilden einen deutlichen Kontrast zum Ton der Frauenstimmen. Die Wiederkehr des Hauptteiles stellt die frohe Stimmung des ersten Teils wieder her. Auch die Bassarie Simons, (Nr. 4 „Schon eilet froh der Ackersmann“) vermittelt diese Stimmung naiver Naturfreude. Das frohe Eilen macht nicht nur das Fagott zu Anfang deutlich, sondern auch das Zitat der bekannten Melodie aus dem zweiten Satz der „Symphonie mit dem Paukenschlag“. Das Flöten des Ackersmannes malt die Flöte. Im Mittelteil wendet sich die Arie zu den Worten „in abgemessenem Gange wirft er den Samen aus“ nach Moll. Im Terzett mit Chor (Nr. 6 „Sei nun gnädig, milder Himmel“) bitten Simon, Lukas, Hanne und das Landvolk um Regen und Sonnenschein, damit die Saat aufgeht und reift. Haydn hat für diesen Satz einen ernsten und feierlichen, ja manchmal auch religiösen Ton gewählt. Während der Anfang von ruhig fließender Melodik bestimmt ist, erfährt der Satz im zweiten Teil durch das polyphone Gewebe der Stimmen eine deutliche Steigerung. Haydns Orchestersatz unterstützt den Charakter des Satzes eindrucksvoll. Als heiteres Gegenstück zu diesem Satz folgt mit dem „Freudenlied, mit abwechselndem Chore der Jugend“ (Nr. 8 „O wie lieblich ist der Anblick“) ein froher, von Terzen geprägter Gesang. Hanne und Lukas führen als Solosopran und Solotenor den Chor der jungen Leute. Besonders reizvoll gestaltet ist die Stelle, in der Mädchen und Jungen „von süßen Trieben“ und „sanften Reizen“ singen, denn Haydn zeichnet die Gefühle mit den Farben des Orchesters malt nach. In deutlichem Kontrast zu diesem Satz setzt der Schlusschor ein (Nr. 9 „Ewiger, mächtiger, gütiger Gott“). Er beginnt gewichtig in langsamen Tempo (Maestoso) und zeigt damit ganz plakativ die Macht und Ewigkeit Gottes. Nach einem Wechsel vom langsamen zum schnellen Tempo (Allegro) lobt der Chor Gott in einer kraftvollen Fuge, wunderbar unterstützt durch das Orchester.
Der Sommer
Der zweite Teil des Oratoriums, der Sommer, spielt nur an einem Tag, denn er schildert einen Sommertag vom Morgen bis zum Abend. Ein kurzes Orchestervorspiel in dunkeler Moll-Farbe zeichnet musikalisch, wie die Nacht langsam entweicht und der heraufkommenden Dämmerung Platz macht. Lukas nimmt im Rezitativ den Orchesterton auf. Im folgenden Orchesterzwischenspiel bläst die Oboe dreimal ein „Kikeriki“. Der „Weckruf“ der Oboe erklingt zunächst als Quinte, dann als Sexte und schließlich als Septime, d.h. der Ruf wird gesteigert und gewinnt damit mehr Eindringlichkeit. Zu Beginn von Simons Arie (Nr. 11 „Der muntre Hirt versammelt nun“) ertönt als „des Tages Herold“ das Horn, dann singt Simon vom Sammeln und vom Auszug der Herde. Hanne kündigt in einem Rezitativ an, dass die Morgenröte hervorbricht. Zu Beginn des nächsten Satzes – Terzett und Chor (Nr. 12 „Sie steigt herauf“) – malt das Orchester den Aufgang der Sonne in chromatisch aus der Tiefe aufsteigenden Schritten unterstützt von einem deutlichen Crescendo (p-f). Aufsteigende Chromatik (Halbtonschritte) bestimmt auch die gleichzeitig erklingende Melodie Hannes und auch die des etwas später einsetzenden Lukas. Das Erscheinen der Sonne „in flammender Majestät“ wird sehr eindrucksvoll von schnellen Violinpassagen und strahlenden Hörnerklängen ausgemalt. Im folgenden Abschnitt zeigt der Chor, welche Freude das Erscheinen der Sonne ausgelöst hat. Der Teil ist reich gegliedert, z.T. mit kunstvollen Koloraturen der Solostimmen und Melismen der Chorstimmen – ein einziger Hymnus auf die Sonne. Lukas Rezitativ (Nr. 14 „Die Mittagssonne brennet jetzt“) zeigt, dass die „Mittagssonne“ die angenehme Morgenfrische in „Mittagsglut“ verwandelt hat. In der anschließenden Cavatine (Nr. 15 „Dem Druck erlieget die Natur“) singt Lukas von der drückenden, Mensch und Tier belastenden Hitze. Der lähmenden Hitze entsprechend hat Haydn ein langsames Tempo (Largo) gewählt. „Welke Wiesen“ und „dürre Wiesen“ werden durch die von Pausen durchsetzte Begleitung dargestellt und ebenso, dass „kraftlos schmachten Mensch und Tier“. Deutliche Tonmalerei findet sich auch am Schluss bei dem Text „am Boden hingestreckt“: lange Notenwerte, Fermaten, abwärts geführte Basslinie. Im sich anschließenden Rezitativ (Nr. 16 „Willkommen jetzt, o dunkler Hain) preist Hanne dagegen in klarem C-Dur den Wald, der „den kühlenden Schirm gewährt“ und damit Mensch und Tier Schatten spendet. Auch in diesem Satz spart Haydn nicht mit Tonmalerei. Das wird besonders deutlich, wenn nach dem Text „in heller Flut der Bach“ die Streicher die Fließbewegung des Wassers nachzeichnen oder wenn die Streicher das „fröhlich summend irrt und wirrt“ tonmalerisch verdeutlichen. ganz zum Genre pastoraler Musik gehört die langsam, im Adagio beginnende Sopranarie mit alternierendem Oboensolo (Nr. 17 „Welche Labung für die Sinne“). Nach einer Tempoverschärfung (Allegro assai) lässt Hanne ihren Gefühlen freien Lauf und singt „Die Seele wachet auf zu reizendem Genuss“. Diese Gefühle und die neu erwachte Kraft entladen sich in aufsteigender Melodik und in vielen Koloraturen. Mit einem Rezitativ (Nr. 18 „O seht! es steiget in der schwülen Luft“) führt Simon aber unvermittelt aus dieser Stimmung in eine Szenerie, die durch düstere Farben gekennzeichnet ist. Langsames Tempo, fahle Harmonien, dumpfes Donnergrollen (Tremoli der Pauken) von dem dann auch Lukas singt, stockende, von Pausen durchsetzte pizzikato (gezupft) gespielte Akkorde, Hannes sehr zurückhaltender, ja beinahe ängstlicher Gesang versinnbildlichen, dass „in banger Ahnung das Leben der Natur stockt“. Die „Todesstille“ macht Haydn dadurch kenntlich, dass er das Orchester schweigen lässt (Generalpause). In diese Stille der bangen Erwartung hinein bricht die Flöte mit im Staccato abwärts geführten Tönen des verminderten Septakkords, die einen grellen Blitzschlag nachzeichnen, der das Unwetter auslöst. Damit ist der Chorsatz (Nr. 19 „Ach! das Ungewitter naht“) eröffnet. Haydn wählt für diese „Gewittermusik“ ein schnelles Tempo (Allegro assai) ein lautes Tempo (f) und als Tongeschlecht Moll. Nachdem der Chor die Menschen in Angst und Schrecken versetzenden Erscheinungen des Gewitters geschildert hat, fragt er „wo Rettung ist“ und geht mit einem von Angstrufen bestimmten Text in ein Chorfugato über, in dem das Orchester wieder viele Textaussagen ausdeutet / ausmalt, wie z.B. die Textstelle „erschüttert wankt die Erde bis in des Meeres Schlund“: und zwar durch eine abwärts geführte Melodie, lange Notenwerte, sehr leise Dynamik (pp), Tremoli (lat.: tremere = zittern) im Orchester. Dann, im Orchesternachspiel, beruhigt sich die Musik: die Chromatik weicht reinen, leisen C-Dur-Klängen, die signalisieren, dass sich das Unwetter verzogen hat und die Luft frisch und rein ist. Der Schlussgesang Terzett und Chor (Nr. 20 „Die düstren Wolken trennen sich“) zeichnet ein Bild des Abendfriedens. Das heimgekehrte Rind brüllt (Posaunen), die Wachtel ruft (Flöte), die Grille zirpt, die Almglocke klingt (Hörner), und der Chor zeichnet das milde Licht des Abendsterns. Sehr leise, sehr ruhig und mit langen Notenwerten, beendet Haydn zum Text „und ladet uns zur sanften Ruh“ nicht nur den Satz sondern auch den gesamten Zweiten Teil des Oratoriums.
Der Herbst
Im dritten Teil Der Herbst werden die zur Jahreszeit gehörenden Dinge wie Ernte, Jagd und Weinlese thematisiert. Die im 3er Takt tänzerisch angelegte Orchestereinleitung (Nr. 21 Einleitung und Rezitativ) soll dem Hörer „des Landmanns freudiges Gefühl über die reiche Ernte“ vermitteln. Die Erklärung für den Charakter der verklungenen Musik liefern Hanne, Lukas und Simon in den sich anschließenden Rezitativ (s.o. und Nr. 22 „Den reichen Vorrat führt er nun“). Im Terzett (Nr. 23 „So lohnet die Natur den Fleiß“) besingen die Solisten ein Lob auf den Fleiß und machen an Beispielen deutlich, was der Fleiß alles bewirkt. Wie das „Amen“ der Gemeinde in der Kirche bestätigt der Chor das Gesagte und steigert die Aussage mit einer mächtigen Fuge über den Satz „O Fleiß, o edler Fleiß, von dir kommt alles Heil“. Eine weitere klangliche, rhythmische und melodische Steigerung erfährt der Satz in der Coda, die zum Text „von dir kommt alles Heil“ überzeugend auf einen Höhepunkt ansteigt. Im Duett (Nr. 25 „Ihr Schönen aus der Stadt“) lobt Lukas Hannchen, die „Tochter der Natur, die weder Putz noch Schminke kennt“, Hanne wiederum besingt an Lukas „ein redlich Herz“, das weder Gold noch Pracht verblenden können. Das Duett beginnt zunächst tändelnd, spielerisch im leichten Buffoton, wenn aber im Mittelteil (Adagio) Hanne und Lukas das Glück treuer Liebe besingen, wandelt sich der spielerische Ausdruck zu schlichtem Ernst, der Schlussteil (Allegro, „Lieben und geliebet zu werden, ist der Freude höchster Gipfel“) spiegelt die Glücksgefühle des Geliebtseins. Mit dem Rezitativ (Nr. 26 „Nun zeiget das entblößte Feld“) tritt die „Jagd“ in den Mittelpunkt der Darstellung. Richtig eröffnet wird die Szenerie durch Simons Arie (Nr. 27 „Seht auf die breiten Wiesen hin“!). Eigenartigerweise hat Haydn als Tongeschlecht Moll gewählt. Jagende Streicherbewegung und Koloraturen in der Singstimme verdeutlichen das Aufspüren und Hetzen des Wildes. Eine besondere Rolle hat Haydn dem Fagott als Partner des Sängers zugewiesen. Die vielen unterschiedlichen Bewegungsabläufe und Geräusche bei einer Jagd hat Haydn mit deutlicher Klangmalerei imitiert: z.B. „da stockt sein Lauf“(lange Notenwerte, Pausen, Singen auf einem Ton) oder „erhebt der scheue Vogel sich“ (ansteigende Melodie) oder „schneller Flug“ (kurze Notenwerte); ja sogar das Blitzen und Knallen des Gewehrs sind hörbar. Lukas beschreibt im Rezitativ (Nr. 28 „Hier treibt ein dichter Kreis die Hasen aus dem Lager“) das Los der Hasen bei einer Treibjagd. Jede Textaussage wird vom Orchester plastisch dargestellt. Mit einem von Hörnern geschmetterten Jagdsignal beginnt der Chor der Landleute und Jäger (Nr. 29 „Hört! Hört das laute Getön“), der schildert, wie die „gierige“ Hundmeute und die reitenden Jäger den Hirsch bis zu seinem Tod jagen, „von seinen Feinden eingeholt, an Mut und Kräften ganz erschöpft, erlieget nun das schnelle Tier“. Mit jubelnden Halali-Rufen der „freudigen Jäger“ klingt der rasante Satz aus. Hanne lenkt mit einem Rezitativ (Nr. 30 „Am Rebenstocke blinket jetzt“) den Blick auf die Welt der Weinbauern. Simon und Lukas beteiligen sich und schildern die Arbeit am Tag der Weinlese. Nachdem der Chor (Nr. 31 „Juhe“) zunächst „aus vollem Halse“ ein Loblied auf den Wein gesungen hat, werden wir Zeugen eines Weinfestes (Allegro assai): Flöten tönen, Fiedeln „schnarren“. Man hört wirbelnde Tanzweisen, einen „dudelnden Bock“ (Dudelsack)schwerfällige Quintenbässe spielen. Die Wirkung des Weins zeigen die Singstimmen, wenn sie „aus vollem Halse“ ausgelassen durcheinander schreien. Haydn beendet den Dritten Teil „Der Herbst“ mit einem wahrhaft dionysischen, rauschenden (auch rauschhaften) Finale voller Lebens- und Sinnenfreude.
Der Winter
Schon die ersten Takte der Orchestereinleitung zum Vierten Teil „Der Winter“ lassen keinen Zweifel daran, dass der goldene Herbst vorbei ist. Haydns Anmerkungen in der Partitur „Die Einleitung schildert die dicken Nebel, womit der Winter anfängt“ zeigen, welche Stimmung das Orchester heraufbeschwören soll. Um diese Wirkung zu erreichen wählt er ein langsames Tempo (Adagio), Moll als Tongeschlecht, viele Dissonanzen und eine mit Chromatik durchsetzte Harmonik. Statt des prallen Lebens im Herbst malt Haydn hier das Bild der entschlummernden, erstarrenden Natur.
Simon und Hanne sprechen dann im folgenden Rezitativ (Nr. 33 „Nun senket sich das blasse Jahr“) das aus, was die Musik vorher schon vermittelt hat. Auch in diesem Rezitativ findet man wieder Tonmalerei bei den Worten „senket“ bzw. „fallen“ (= absteigende Melodik). Ebenfalls deutlich gemacht wird die „bange Stille der Natur“ (Tempo und Lautstärke). In den Pausen des Sängers kommentiert oder bekräftigt das Orchester das Gesagte. In der Cavatine (Nr. 34 „Licht und Leben sind geschwächet“) erzählt Hanne in langsamem, traurigem Ton neben der Anfangszeile auch von den langen, schwarzen Nächten. Nicht nur die langen Notenwerte und das pp am Schluss zeigen die lange Dauer der Nächte an. Lukas berichtet in seinem Rezitativ (Nr. 35 „Gefesselt steht der breite See“) von zugefrorenen Seen und Flüssen und davon, dass die Natur von Schnee bedeckt ist, nur „Leichenfarbe“ herrscht und „nur öde Wüstenei sich zeigt“. Mit der Arie (Nr. 36 „Hier steht der Wandrer nun“) wird ein „Kameraschwenk“ vollzogen. Nicht mehr die unbelebte Natur steht im Fokus, sondern der wandernde Mensch. In „atemlosem“ Tempo (Presto) und in Moll erzählt Lukas von dem Wanderer, der keine Wege mehr erkennen kann, im tiefen Schnee „watet“, sich darum im tiefen Schnee verirrt und angesichts des hereinbrechenden Abends, der Kälte und nachlassender Kraft mutlos und ängstlich wird. Auch in dieser Arie finden sich wieder viele Stellen, wo sich der Text in der Musik mit Händen greifen lässt. Besonders hinweisen möchte ich auf: „watet durch den tiefen Schnee“ (Umfang der Melodie = tief; Chromatik; gleichmäßige Viertel) und „Angst beklemmt sein Herz (Chromatik = Angst; Herzschlag im Orchester hörbar) oder „alle Glieder lähmt“ (sehr lange Notenwerte = Lähmung). Die Arie könnte jetzt mit einem für den Wanderer schlimmen Ausgang zu Ende gehen, aber da sieht er – fast erfroren – einen Lichtschein (Oboe), der ihm den Weg zu einem Haus weist. Damit schlägt die Stimmung um. Ein schnelles Tempo (Allegro) und eine fröhliche Dur-Melodie setzten um, was der Text sagt: „da lebt er wieder auf“. Sein Herz pocht – und wir hören das auch im Orchester -, und er rennt, „begleitet“ von schnellen Figuren des Orchesters auf die Hütte zu. Bei dem Satz „wo starr und matt er Labung hofft“ greift Haydn kurz auf den Ton des 1. Teils der Arie zurück, aber dann bestimmt wieder die Freude über die Rettung den Ton der Musik. Wie groß die Freude des Wanderers ist zeigt Haydn, indem er das Wort Freude mit einem langen Ton über vier Takte spannt. Mit dem Rezitativ der Solisten (Nr. 37 „So wie er naht, schallt in sein Ohr“) „zoomt“ sich die „Kamera“ zunächst ans Haus und dann hinein in „die warme Stube“, in der gesponnen, gesungen und geschwatzt wird. Hanne und die Mädchen stimmen zur Arbeit ein Lied an (Nr. 38 „Knurre, schnurre, Rädchen, schnurre“), in dem Streicherfiguren das Surren der Räder und Sforzato-Akzente der Bässe den Rhythmus des Fußtritts markieren. Die moralische Belehrung Hannes „außen blank – was immer das heißen mag – und innen rein muss des Mädchens Busen sein, wohl deckt ihn der Schleier“ greift der jetzt volle Chor auf und bringt den Satz zu Ende. Lukas berichtet in einem Rezitativ (Nr. 39 „Abgesponnen ist der Flachs“) vom Ende des Spinnens, dem Stillstand der Räder und bittet dann darum „zu horchen auf die neue Mär, die Hanne jetzt erzählen wird“. Im Lied mit Chor (Nr. 40 „Ein Mädchen, das auf Ehre hielt“) singt Hanne von einem Bauernmädchen, das einem verliebten Edelmann einen Denkzettel gibt; ein schelmisches, einfaches Strophenlied, bei dessen Refrain der Chor zunächst seinen Kommentar abgibt und beim letzten Mal den Edelmann auslacht. Simons Rezitativ (Nr. 41 „Vom dürren Oste“) führt aus der Szenerie im Haus wieder zurück in die Realität der vom Winter („der grimmige Tyrann) gezeichneten Natur. Mit seiner Arie (Nr. 42 „Erblicke hier, betörter Mensch“) rückt Simon die Betrachtung auf eine höhere Ebene und bereitet so den großartigen, ins Metaphysische greifenden Schluss der Dichtung vor. In langsamen Tempo (Largo) und ernstem Ton ohne große melodische Ausschläge werden Frühling, Sommer, Herbst und Winter sinnbildlich mit den verschiedenen Stadien des menschlichen Lebens verglichen. Mit dem Tempowechsel (Allegro molto) gewinnt die Musik Intensität, wenn Simon aufgeregt fragt, wo den alle Lebensentwürfe, die Hoffnungen vom Glück oder die Wonnetage geblieben sind. Dann wird die Musik wieder sehr ruhig und Simon setzt die Kernaussage des Textes „Nur die Tugend bleibt“ unbegleitet vom Orchester ganz plakativ an das Ende seiner Arie.
Ohne christliche Botschaft würde das Oratorium jetzt doch sehr betrüblich enden. Aber schon bevor Simon seinen ersten Satz im letzten Stück, einem Terzett und Doppelchor (Nr. 44 „Dann bricht der große Morgen an“) angefangen hat, verkünden die in hellem, klarem C-Dur erklingenden Trompeten, dass der traurige Abschied von der Erde für den Menschen nicht die letzte Station ist: Über die irdische Vergänglichkeit triumphiert die Hoffnung auf die Ewigkeit, den „großen Morgen“, der jenseits des Grabes anbricht. Dieser letzte Satz entwirft ganz anschaulich ein Bild der jenseitigen Welt: „Die Himmelspforten öffnen sich, der heilge Berg erscheint, ihn krönt des Herren das Zelt. Aus den Fragen des in zwei Gruppen geteilten Chores und den zuversichtlich-gläubigen Antworten der Solisten ergibt sich ein feierlicher Wechselgesang. Mit einer großartigen Chorfuge („Uns leite deine Hand“) erfährt der Satz noch einmal eine Steigerung. Diese Fuge hat wohl so viel Zuversicht und Sicherheit vermittelt, dass alle Stimmen unter den Klängen des vollen Orchester rhythmisch identisch (homophon) formulieren: „Dann singen wir. Dann gehen wir ein in deines Reiches Herrlichkeit. Wie „hoch“ dieses Reich entfernt liegt, zeigt das b3 des Soprans und welche Herrlichkeit dort herrscht, zeigen die langen Notenwerte und die Fermate. Nach einer Generalpause beschließt ein zweifach formuliertes „Amen“ (so sei es) das Oratorium.
Was der Philosoph Wilhelm Dilthey über „Die Schöpfung“ gesagt hat, gilt auch für „Die Jahreszeiten“: „Zusammennehmend alles, was seit Bach geschehen: die Kunst der Fuge, die Macht des Chors von Händel, Mozarts Zusammenklingen verschiedener Stimmen, alle Süßigkeiten seiner dramatischen Melodien, schafft Haydn ein Oratorium, welches der neuen weltfreudigen Religiosität zum ersten Male einen schöpferischen Ausdruck gibt, ebenso wie ihn vorher die christliche Religiosität in der Musik gefunden hatte“.
Wenn man aber bedenkt, dass Haydn sich mit seinem letzten Oratorium so schwer getan hat und immer wieder von der Arbeit daran zurücktreten wollte, dann liest man nicht ohne Rührung, was Goethes Freund Carl Friedrich Zelter am 16. März 1804 dem hochverehrten Komponisten aus Berlin geschrieben hat: „Sie haben kein Werk hervorgebracht, woran man Ihr hohes Alter bemerket. Ihre Jahreszeiten sind ein Werk jugendlicher Kraft und alter Meisterschaft. Gott befohlen!“
Bruno Bechthold
Reaktionen aus der Presse
Farbige Gestaltung der idyllischen Genrebilder
Glanzvolle Chorleistung des Städtischen Musikvereins Paderborn
Paderborn (WV). Als Beitrag zum Haydn-Jahr hat der Städtische Musikverein sein Chorkonzert in der Paderhalle verstanden.
Mit der Aufführung, des beliebten Oratoriums „Die Jahreszeiten“ am Mittwoch sowie der „Missa brevis Sti. Joannis“ in der Franziskanerkirche im Oktober dieses Jahres hat der Chor in diesem Jahr seine Arbeit erfreulicherweise ausschließlich auf das Vokalwerk Joseph Haydns ausgerichtet.
Zur Verstärkung des Musikvereins sangen jetzt im achten Sinfoniekonzert noch der eigene Jugendchor, der Musik-Verein Oelde und die Capella Loburgensis Ostbevern mit. Solisten waren Cornelie Isenbürger (Sopran). Georg Poplutz (Tenor) und Markus Krause (Bass). Die Nordwestdeutsche Philharmonie begleitete unter der Gesamtleitung von Matthias Hellmons, der auch die Rezitativbegleitung am Hammerklavier besorgte.
Haydn gelingt es in seinem Oratorium – und nicht nur hier -, eine Verbindung von Volkstümlichkeit mit den Regeln der Kunst in meist lockerer Heiterkeit herzustellen. „Die Jahreszeiten“ so zu vermitteln, dass Haydns Absicht erkennbar wird, ist dem Musikverein und auch den anderen Chören in diesem Konzert glänzend gelungen.
Es war für die vielen aktiven Sängerinnen und Sänger eine schöne und großartige Herausforderung, dieses Oratorium einzustudieren, um das Publikum mit dieser Aufführung zu erfreuen. In den Stimmgruppen gut ausgewogen und in rhythmischer Präzision präsentierten die Chöre eindrucksvoll die unterschiedlichen Stimmungen. Farbig erklangen die idyllischen Genrebilder wie im warm dahin fließenden „Komm, holder Lenz“, in der Gewitterszene, im begeisternden Weinlied „Juhe, der Wein ist da“ und nicht zuletzt im rhythmisch-mitreißenden „Knurre, schnurre…“ – das waren absolute Höhepunkte, vor allem auch der religiös erhöhende Schlusschor. Die große Freude im ausdrucksvollen Singen und die Begeisterung der Chöre zusammen mit der klaren und frischen Stimmlage des Jugendchores gaben der Aufführung Glanz.
Homogenes Solistenterzett
Mit ihren stimmlichen Ausdrucks- und Gestaltungsmöglichkeiten vermochten die drei Solisten ihren Partien die dem Text und der Musik entsprechenden Empfindungen zu verleihen; so ergab sich für das Terzett eine stimmlich wohltuend abgerundete Homogenität. Die Orchesterbegleitung war im Blick auf die guten Leistungen der Chöre und Solisten stellenweise divergierend: Zusammenspiel und manche Intonation waren nicht perfekt und enttäuschten.
Der positive Gesamteindruck ließ sich dadurch jedoch kaum schmälern. Die Konzertbesucher dankten mit langem und begeistertem Beifall für diesen erlebnisreichen Haydn-Abend.
Wolfgang Günther
Westfalen-Blatt vom 23./24. Mai 2009
Lebensfreude und süße Triebe
Mitreißender Spaziergang durch Haydns Jahreszeiten mit dem Städtischen Musikverein
Das gesamte Paderhallen-Podium war besetzt! 160 Personen versammelten sich dort, um für weitere 600 Zuhörer gute Chormusik zu produzieren. Haydns Spätwerk „Die Jahreszeiten“ feiert im Haydn-Jahr selbst den 210. Geburtstag. Anlass genug zu dieser groß angelegten Veranstaltung des Städtischen Musikvereins.
Vierzig Musiker der Nordwestdeutschen Philharmonie saßen direkt auf der Vorbühne, die vereinigten Chöre füllten den restlichen Bühnenraum, so konnte sich Haydns Musik kühn vernehmbar entwickeln. Mit bereits nachlassenden Kräften schuf der geniale Komponist den vierteiligen Musikzyklus für Solo- und Chorstimmen in mächtiger Besetzung.
Unter der Leitung des engagierten Kapellmeisters Matthias Hellmons wirkten die Chöre des Musik-Vereins Oelde und der Capella Loburgensis Ostbevern, dazu der Jugendchor des Musikvereins. Alle hatten ein halbes Jahr mit Eifer geprobt, auch der seit zwei Jahren aktive Jugendchor unter Regine Neumüller. Damit konnte die Aufführung des kompletten Oratoriums in ergreifender Form, optisch und akustisch ausgewogen beginnen.
Das kräftige Orchestervorspiel – zwei Hörner spielen für vier – bereitet in immer schnellerem Tempo das Anschwellen und Aufbrechen des herandrängenden Frühlings vor: „Seht, wie der strenge Winter flieht!“, singt Pächter Simon mit der Bassstimme von Markus Krause. Des Jungbauern Lukas\‘ (Georg Poplutz) lichter Tenor beschreibt herabstürzende graue Schneemassen, eine sanfte Klarinettenmelodie leitet zu Cornelie Isenbürgers Sopraneinsatz und mit Zauberstimme lockt sie als Hanne die Frühlingsboten herbei. Nach den einleitenden Rezitativen erhebt sich der gewaltige Chor des Landvolks, um dem holden Lenz die Referenz zu erweisen. Die Mädchen- und Frauenstimmen atmen des Frühlings linden Hauch, die Männerstimmen warnen noch vor spätem vernichtenden Frost. Doch der Frühling ist da, alle müssen jubilieren, die Burschen- und Mädchenstimmen – vom Jugendchor überzeugend bereitgestellt – besingen Wonne, Lebensfreude und die süßen Triebe.
Die Texte des Baron von Swieten nach James Thompson\’s „The Seasons“ als Grundlage kompositorischer Arbeit wirkten auf Haydn zunächst wenig stimulierend. Jedoch sein tonsetzerischer Genius erwirkte höchst interessante Stimmführungen in den Gesangspartien Sopran, Tenor und Bass, verschiedene Liedformen in Solo, Duett und Terzett, verbunden mit differenzierten Chorpassagen lassen den rechtschaffenen Text in abwechslungsreicher Darstellung erscheinen.
Zum „Sommer“ ist auf dem Podium wieder mehr Luft, die Frühlingsstimmen des Jugendchors sind verhallt und unbemerkt verschwunden, ein langsames lyrisches Vorspiel begrüßt den Sommermorgen und verspricht einen heißen Tag. Das sauber und dezent intonierte Hornthema ruft den ausgeruhten Landmann zu neuem Tagwerk. „Die Sense blitzt – da sinkt das Korn“, lähmende Mittagshitze, liebliche Oboenklänge, quakende Posaunen, präzise Pizzicati der diesmal jugendlich besetzten Nordwestdeutschen betten das opulente Gesangswerk in musikalische Erlebnisfreuden.
Nach der Pause wieder Kräftesammeln und Konzentration, denn der „Herbst“ und der „Winter“ verlangen vollen Einsatz für weitere siebzig Minuten bis zur großen Schlussfuge und den Lobpreisungen göttlicher Schöpfung. Am Ende standen Dank, Anerkennung und nach insgesamt drei Aufführungen das verdiente Abschiedsessen im festlich gedeckten Paderhallenfoyer mit Umtrunk auf die hervorragende Zusammenarbeit des Orchesters und der vereinigten Chöre.
Neue Westfälische vom 23. / 24. Mai 2009
Gunther Gensch